Planetare Grenzen

Sicherer Handlungsraum für die Menschheit

Planetare Grenzen sind globale, biophysikalische Limitierungen, die für uns Menschen einen sicheren Handlungsraum definieren, in dem sich auch die Folgegenerationen nachhaltig entwickeln können. Eine Gruppe von 28 Wissenschaftlern, darunter Dr. Johan Rockström, ein langjähriger Partner von The Natural Step, hat auf Basis intensiver Studien zur Erdsystemforschung neun dieser Grenzen identifiziert und sieben davon konkret beziffert.

In vier Bereichen sind die Grenzen bereits heute überschritten: Klimawandel, Beeinträchtigung der Biosphärenintegration (Stichwort biologische Vielfalt), Wandel der Boden-/Landnutzung und bei den biogeochemischen Abläufen, u.a. den globalen Phosphor- und Stickstoffkreisläufen. Die weiteren Grenzbereiche sind: Stratosphärischer Ozonabbau, atmosphärische Aerosolbelastung, Versauerung der Meere, Süßwasserverbrauch und neue, erst von Menschen geschaffene Entitäten, im organischen wie im anorganischen Bereich.

„Die Belastung des Erdsystems durch den Menschen hat ein Ausmaß erreicht, bei dem plötzliche globale Veränderungen der Umwelt nicht mehr auszuschließen sind. Um weiterhin sicher leben zu können, muss der Mensch innerhalb bestimmter kritischer und fester Grenzen der Umwelt agieren und die Natur der klimatischen, geophysikalischen, atmosphärischen und ökologischen Prozesse im Erdsystem respektieren“, sagt Dr. Johan Rockström, Direktor des Stockholm Resilience Centre an der Universität Stockholm und Hauptautor der Studie.

Die neun planetaren Grenzen

Durch das Überschreiten der planetaren Grenzen könnte sich das menschliche Wohlergehen in vielen Teilen der Welt verschlechtern, auch in reichen Ländern wie Deutschland. Dies bestätigt auch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Vor diesem Hintergrund stellen wir Ihnen das Konzept der planetaren Grenzen im Detail vor. Außerdem machen wir Sie mit den Menschen vertraut, die dahinter stehen und mit denen The Natural Step international und in Deutschland intensiv zusammenarbeitet.

Die renommierten Forscher haben ihre Erkenntnisse in diesem Kreisdiagramm zusammengefasst:

Planetare Grenzen – aktualisierte Fassung von 2015

Planetare Grenzen

Originalquelle: www.stockholmresilience.org, Infografik: F. Pharand-Deschênes/Globaïa; deutsche Quelle: „Big World Small Planet“, Dr. Johan Rockström und Mattias Klum, Abbildung 2.1, Seite 83

Die aktualisierten planetaren Grenzen

Wie schon die erste Version von 2009 fokussieren auch die aktualisierten plantaren Grenzen konsequent die biophysikalischen Prozesse auf unserem Planeten, ohne Kompromisse, die in der Politik gerne als „erwünschte Minimalstandards“ oder „tolerierbare Grenzwerte“ umschrieben werden. Die wichtigsten aktualisierten Grenzwerte im Überblick:

Klimawandel

Im Laufe der letzten 50 Jahre haben sich die globalen CO²-Emissionen, gemessen in Milliarden Tonnen Kohlendioxid-Emissionen pro Jahr, ungefähr verdoppelt. CO², das bis zu tausend Jahre in der Atmosphäre verbleiben kann, hat maßgeblich zur Erwärmung unseres Planeten beigetragen, obwohl die Meeres- und Landökosysteme jeweils etwa 25 Prozent unserer Emissionen absorbieren können. Das bedeutet: Nur die Hälfte der CO²-Gesamtmenge verbleibt in der Atmosphäre. Das heißt aber auch, dass die von der Natur absorbierte CO²-Menge im letzten halben Jahrhundert von zwei auf vier Milliarden Tonnen angestiegen ist – eine gefährliche Grenzbelastung.

Das Team um Dr. Johan Rockström hat für den Klimawandel zwei Kontrollvariablen als Belastungsgrenzen definiert: die atmosphärische CO²-Konzentration und den Strahlungsantrieb. Für die CO²-Konzentration wurde eine Grenze von 350 ppm (parts per million) definiert. Für den Strahlungsantrieb, der den Nettobetrag der Energie an der Erdoberfläche misst, der durch menschengemachten Ausstoß von Treibhausgasen hinzukommt, wurde eine Erhöhung von nicht mehr als ein Watt pro Quadratmeter festgelegt. Das entspricht einem Anstieg der globalen Temperatur um 1° Celsius.

Neue Entitäten und Verschmutzung durch Chemikalien

Hier geht es in erster Linie um die Belastung der Natur durch neue chemische Substanzen und modifizierte Lebensformen, dazu zählen u.a. synthetische Giftstoffe und radioaktive Materialien, die Organismen, Ökosysteme und das Klima dauerhaft schädigen können. Beispiele sind genetische Schäden, Krebs und Unfruchtbarkeit. Für diese neuen Entitäten haben die Forscher noch keine Kontrollvariablen und Grenzwerte festlegen können.

Stratosphärischer Ozonabbau

Die Ozonschicht schützt die biologischen Systeme und uns Menschen vor UV-Strahlung und damit u.a. vor Hautkrebs. Ein übermäßiger stratosphärischer Ozonabbau würde die Wahrscheinlichkeit von Ozonlöchern erhöhen, die jeweils im Frühjahr über den Polarregionen auftreten. Als Grenzwert wurde ein Schwund der Ozonschicht von nicht mehr als fünf Prozent gegenüber vorindustriellen Werten festgelegt. Ihre Stärke wird in DU = Dobson-Unit gemessen, die Kontrollvariable: Weniger als fünf Prozent Reduzierung von 290 DU (bewertet nach Breitengrad, Spielraum).

Atmosphärische Aerosolbelastung

Aerosole, u.a. Mineralstaub, Meersalz, zelluläre biologische Teilchen, Ruß oder organische Verbindungen, sind klimatisch die Gegenspieler der Treibhausgase. Sie entstehen durch natürliche und menschliche Aktivitäten und beeinflussen u.a. die Wolkenbildung, die Luftzirkulation und das Reflexionsvermögen des Erdbodens. Als ersten Anhaltspunkt für eine Grenze der Aerosolbelastung berechneten die Wissenschaftler für Südostasien ein regionales Niveau für die optische Dicke der Aerosole (AOD) als saisonalen Durchschnitt über dieser Region, der südasiatischer Monsun diente als Fallstudie.

Meeresversauerung

Ein Viertel der von uns Menschen verursachten CO²-Emissionen fließt in die Ozeane. Das führt zu einer Verringerung des PH-Wertes an den Wasseroberflächen und behindert u.a. das Wachstum von Korallen, Schalentieren und Plankton, was wiederum den Fischbestand gefährden kann. Als Kontrollvariable nutzen die Wissenschaftler den Sättigungspegel von Aragonit – eine Form von Kalziumkarbonat, die sich auflöst, wenn das Meerwasser zu sauer wird.

Biogeochemische Abläufe

Wir Menschen haben die natürlichen Stickstoff- und Phosphorkreisläufe durch die Industrialisierung und massive landwirtschaftliche Flächennutzung grundsätzlich verändert. Im schlimmsten Fall führt eine übermäßige Freisetzung von Stickstoff und Phosphor zu einer erhöhten Konzentration von Nährstoffen in den Wasserökosystemen und zu nahezu sauerstofffreien „toten“ Zonen. Um das zu verhindern, haben Dr. Johan Rockström und seine Kollegen nicht mehr als 44 Millionen Tonnen (Mt) nichtreaktiven Stickstoffs (N²) in der Biosphäre als Grenzwert definiert. Die ursprüngliche Phosphorgrenze für Salzwasser wurde um einen Grenzwert speziell für Süßwasser ergänzt, weil aktuelle Studien gezeigt haben, dass Phosphor Süßwasser schneller schädigen kann als Salzwasser.

SÜSSWASSERVERBRAUCH

Hierfür wurde eine maximale Menge von 4.000 km³ pro Jahr definiert, die verhindern soll, dass wir Menschen unsere Süßwasservorräte zu schnell ausschöpfen, u.a. durch Bewässerungssysteme. Eine Überschreitung dieser Grenzmenge könnte zu einem Kollaps der aquatischen und terrestrischen Ökosysteme führen.

Landnutzungsänderung

Die Umwandlung von Regenwäldern und anderen natürlichen Ökosystemen in landwirtschaftliche Nutzflächen und Bauland beeinträchtigt die natürlichen biogeochemischen Abläufe und die biologische Vielfalt. Um die negativen Folgen zu begrenzen, sollten mindestens 85 Prozent der Regenwälder, dazu 85 Prozent der größten borealen Nadelwälder und 50 Prozent der Wälder in den gemäßigten Zonen unversehrt erhalten bleiben.

Biologische Vielfalt und Unversehrtheit der Biosphäre

Die steigende Nachfrage, u.a. nach Lebensmitteln und Trinkwasser, beeinflusst die genetische Vielfalt auf unserem Planeten negativ und hat bereits zu einem rasanten Artensterben geführt. Aktuell ist ungefähr ein Viertel der gut erforschten Arten vom Aussterben bedroht. Bei einem fortgesetzten Artenschwund in dieser Größenordnung werden einige Ökosysteme nur noch eingeschränkt funktionieren können bzw. kippen, d.h. Regenwälder könnten sich in Savannen verwandeln und Savannen in Wüsten. Als vorläufigen Grenzwert definierten die Forscher ein Maximum von 10 Aussterbefällen pro eine Million Spezies pro Jahr. Außerdem wurde die Artenverlustrate um einen Indikator für die Funktionsvielfalt ergänzt, der die Fähigkeit von Ökosystemen misst, mit den vielen Veränderungen umzugehen.

Biogeochemische Abläufe
Klimawandel
Verschmutzung durch Chemikalien

Schwerpunkte der Aktualisierung

In 2015 wurde die Aktualisierung der planetaren Grenzen veröffentlicht. Hierbei hat das Team um Dr. Johan Rockström mit den aktuellsten wissenschaftlichen Methoden gearbeitet, u.a. mit dem systemischen Ansatz von The Natural Step, um die Grenzwerte weiter konkretisieren zu können. Vier der neun planetaren Grenzen haben wir definitiv überschritten:

  • Klimawandel: Die neuesten Beobachtungen des CO²-Niveaus in der Atmosphäre zeigen eine monatliche Durchschnittskonzentration von 399 ppm, somit deutlich über der Grenze von 350 ppm (parts per million).
  • Biogeochemische Abläufe: Die Belastung der Biosphäre durch große Mengen an Stickstoff, u.a. bedingt durch den Einsatz von Kunstdüngern in der modernen Landwirtschaft, ist gefährlich. Die überhöhte Stickstoffkonzentration in Seen, Flüssen und Feuchtgebieten führt bereits heute regional zu toten Zonen. Hiervon ist z.B. etwa ein Sechstel der Ostsee betroffen.
  • Landnutzungswandel: Wir haben bereits einen viel zu großen Anteil der tropischen Regenwälder, der borealen Nadelwälder und der Wälder in gemäßigten Zonen abgeholzt. Mindestens 75 Prozent der irdischen Waldbedeckung müssen wir erhalten, um auf unserem Planeten weiterhin gut leben zu können. Stand heute sind nur noch 60 Prozent davon übrig geblieben.
  • Biologische Vielfalt: Das Tempo des Artenschwunds ist heute so groß, dass wir uns mitten in einem Massenaussterben des Planeten befinden. Besonders beunruhigend sind die Verluste hochrangiger Raubtiere an der Spitze der Nahrungskette, wodurch sich die gesamte Struktur der natürlichen Lebenserhaltungssysteme verändert. Eine ausgestorbene Spezies kann nicht zurückgeholt werden – der Vorgang ist unumkehrbar und ein tiefgreifendes globales Problem.

Um die Überschreitung eines einzelnen Grenzwertes zu vermeiden, müssen wir bei allen Grenzen innerhalb des sicheren Handlungsspielraums bleiben. Dr. Johan Rockström bringt das in seinem Buch so auf den Punkt: „Wir lebten einst in einer kleinen Welt auf einem großen Planeten. Jetzt bewohnen wir eine große Welt – mit gewaltigen Einwirkungen – auf einem kleinen Planeten. Deshalb müssen wir die planetaren Grenzen respektieren.“

Forschungsteam

Zum Kernteam der 28 Wissenschaftler, die gemeinsam an der Aktualisierung der planetaren Grenzen gearbeitet haben, zählen u.a. Hans Joachim Schellnhuber, der Direktor des weltweit angesehenen Potsdam-Instituts für Klimaforschung und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), und Paul Crutzen, ein niederländischer Meteorologe, der 1995 den Nobelpreis für seine Arbeiten im Bereich der Atmosphärenchemie erhielt. Geleitet wurde die Gruppe von Dr. Johan Rockström, der neben vielen anderen Auszeichnungen 2015 den Deutschen Umweltpreis erhielt, und Dr. Will Steffen, dem ehemaligen Direktor des IGBP (International Geosphere-Biosphere Programme) für Forschungen zum Globalen Wandel.

Dr. Johan Rockström ist ein langjähriger und sehr geschätzter Partner von The Natural Step. Die enge Vernetzung der planetaren Grenzen mit unserem systemischen Ansatz bezeichnete er erst kürzlich wieder als außergewöhnlich wertvoll. Beim Stepwise-Event in Stockholm im Februar 2016 sagte er dazu: „Wir brauchen die globale systemische Perspektive, um den sozio-ökologischen Herausforderungen gerecht zu werden und den Wandel voranzutreiben. Um einen nachhaltigen Transformationsprozess in Gang zu bringen, reicht es leider nicht aus, die Rahmenbedingungen für das Leben auf unserem Planeten zu erfassen und zu beschreiben. Wir müssen die einzelnen Faktoren operationalisieren. Dazu brauchen wir Innovationskraft, Einfallsreichtum, Effektivität, Führungskompetenz, neue Technologien und eine Menge Aktivitäten auf globaler und lokaler Ebene. Genau hier kommt der Ansatz von The Natural Step ins Spiel.“

Dr. Johan Rockström und Rüdiger Röhrig

Dr. Johan Rockström (Mitte), Rüdiger Röhrig, The Natural Step Deutschland (links) und Lin Zhang, The Natural Step China (rechts); Foto: Kim Svenson, CC BY/3.0

einige Mitglieder von The Natural Step

Lebhafte Diskussionen an den Tischen: Wissenschaftler, Wirtschaftsexperten und das Team von The Natural Step tauschen sich intenisv aus; Foto: Kim Svenson, CC BY/3.0

Wenn Sie mehr darüber wissen möchten, wie wir die planetaren Grenzen aus der systemischen Perspektive einordnen und bewerten, dann empfehlen wir Ihnen diese wissenschaftliche Publikation von Karl-Henrik Robèrt (Gründer von The Natural Step) und seinen Kollegen Göran I. Broman und George Basile: „Analyzing the Concept of Planetary Boundaries from a Strategic Sustainability Perspective: How Does Humanity Avoid Tipping the Planet?”